Demenz und Depression
Beide Erkrankungen beeinträchtigen in fundamentaler Weise und stärker als fast alle nichtpsychiatrischen Erkrankungen die Lebensqualität der Betroffenen. In den nächsten Jahrzehnten muss mit einer stark wachsenden medizinischen und gesundheitspolitischen Bedeutung für beide Erkrankungen gerechnet werden. Der Häufigkeit und der Schwere dieser Erkrankungen wird jedoch nicht immer ausreichend Rechnung getragen. Beide werden insbesondere auf der Ebene der Primärversorgung oft nicht erkannt.
Die Kombination von depressiven Symptomen und kognitiven Leistungseinschränkungen kann durch mindestens drei verschiedene Konstellationen zustande kommen:
- Erstens kann es sich um eine depressive Verstimmung als Begleitsymptom einer hirnorganischen (z. B. neurodegenerativen) Erkrankung handeln. Für diese Konstellation haben manche Autoren den Begriff der „Pseudodepression“ geprägt, der psychopathologisch allerdings anfechtbar ist.
- Zweitens kommt eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Rahmen einer Gemütskrankheit in Betracht. Dafür kennt die ältere Literatur den Ausdruck „Pseudodemenz“, der allerdings ebenfalls so umstritten ist wie jener der „Pseudodepression“.
- Drittens ist bei älteren Patienten mit dem Zusammentreffen eines hirnorganischen Prozesses und einer Gemütskrankheit zu rechnen, also mit einer so genannten Komorbidität.
Wichtige psychopathologische Merkmale für die Unterscheidung zwischen Demenz und Depression sind Gefühle der Wertlosigkeit oder Schuld sowie Suizidgedanken. Sie kommen bei depressiven Demenzkranken nur sehr selten vor. Umgekehrt haben die meisten hirnorganisch gesunden depressiven Patienten weder wahnhafte Überzeugungen noch Sinnestäuschungen. Mittels neuropsychologischer Testverfahren sowie bildgebender Verfahren können wichtige Befunde zur besseren Unterscheidung der beiden Erkrankungen herangezogen werden.
Zwischen 30 und 50 % aller Demenzkranken weisen gleichzeitig die Symptome einer Depression auf. Umgekehrt sind Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit bei älteren depressiven Patienten keine Seltenheit, und sie können den Schweregrad einer Demenz erreichen. Missmutigkeit, Pessimismus und Antriebslosigkeit sind keine normalen Folgen des Alters, sondern meistens Zeichen für eine Depression.
Depressionen bei Demenz-Erkrankungen verlaufen oft nicht gleichförmig. Je nach Krankheitsphase können sie ihr Erscheinungsbild und ihren Schweregrad rasch ändern. Das muss bei der Behandlung berücksichtigt werden. Der Verlauf einer Depression sollte deshalb monatlich überprüft werden, damit die Therapie, falls erforderlich, angepasst werden kann. Die richtige Diagnose ist praktisch sehr bedeutsam im Hinblick auf die einzuleitende Therapie. Die Diagnose stellt typischerweise ein Psychiater (Facharzt für Psychiatrie), ein Neurologe (Facharzt für Neurologie) oder ein Psychologe. Bei einer beginnenden Alzheimer-Demenz würde man ein Antidementivum geben – eventuell kombiniert mit einem Antidepressivum, falls der Patient unter gedrückter Stimmung leidet. Bei einer Depression liegt der therapeutische Schwerpunkt auf einer medikamentösen antidepressiven und psychotherapeutischen Behandlung.